Weit weg von zu Hause baut sich Sage ein neues Leben auf – mittellos, in ihrem Wagen schlafend, aber endlich frei. Frei von den Schatten, die sie seit Jahren verfolgen. Aber nicht frei von den Erinnerungen, die sie in Panik versetzen. Doch Sage ist eine Kämpferin. Als jedoch Luca in ihr Leben tritt und sie gemeinsam arbeiten müssen, sitzt der Schrecken bei Sage tief. Wie kann sie mit jemandem Zeit verbringen, der die schlimmsten Wunden in ihr aufreißt? Nur die Zeit kann helfen, sie zu heilen – und der Blick hinter Lucas Fassade …
„Berühre mich. Nicht.“ ist derzeit in aller Munde. Und das zurecht. Trotzdem macht es mir das fast noch schwerer, zu erklären, wie ich mich bei diesem Buch aus Laura Kneidls Feder gefühlt habe – denn ich habe viel gefühlt. Sehr viel. Sages Weg mitzuverfolgen, hat mich auch an meine emotionalen Grenzen gebracht, und wäre ich nicht so neugierig gewesen, hätte ich wahrscheinlich länger an dem Buch geknabbert. Aber nun kann ich nur noch auf die Fortsetzung warten und derweil versuchen, die richtigen Worte für dieses schwierige Thema zu finden.
Denn das hat Laura Kneidl von Anfang an gut verstanden und umgesetzt: Die richtigen Worte finden. Ihr Schreibstil verliert sich nicht in ewig langen Beschreibungen der Muskeln an den Oberarmen des sexy Bad Boys. Nein, Sages Seelenleben steht im Vordergrund – die Panik, die sie erfüllt, wenn ihr ein männliches Wesen zu nahe kommt. Der Herzschlag, der sich beschleunigt, das Engegefühl, der Fluchtreflex. Es passiert selten, dass ich so schnell mit der Protagonistin mitfühlen kann, aber durch den intensiven, klaren Schreibstil wurde ich sofort mit in Sages Welt gezogen und habe wirklich mit ihr mitgelitten.
Anders als in vielen weiteren New Adult-Büchern wird hier ein Tabuthema aufgegriffen, das man schnell durchschaut, das aber auch sichtbare Spuren hinterlässt. Sages Angststörung kommt nicht einfach aus heiterem Himmel und verschwindet, als sie den Love Interest trifft. Liebe heilt nicht alle Wunden. Liebe kann helfen, sie zu lindern – aber den Weg der Heilung muss man selbst finden. Ich fand es sehr gut, wie hier mit dem Thema umgegangen wurde, auch Sages Selbstreflexion und ihre Suche nach professioneller Hilfe hat mich wirklich überzeugt. Die Geschichte war in so vielerlei Hinsicht realistisch, nicht nur durch Netflix-Abende und College-Partys, sondern vor allem durch eine Protagonistin, die offen zugibt, dass sie nicht stark genug ist, es allein zu schaffen, und auf die Hilfe von Experten vertraut. Mir hat es viel Mut gemacht, Sage auf diesem Weg zu begleiten und ihre langsame Heilung mitzuverfolgen, die selbstverständlich noch nicht abgeschlossen ist.
Das Buch lebt jetzt vielleicht nicht unbedingt vom Wortwitz oder besonders heißen Szenen, wie es in anderen Titeln dieses Genres der Fall ist. Aber „Berühre mich. Nicht.“ ist auf seine ganz eigene Art besonders. Es gibt einen Einblick in ein Tabuthema, das in der heutigen Gesellschaft immer noch kritisch betrachtet wird. Mach bloß nicht den Mund auf. Niemand wird dir glauben. Dazu haben auch die Charaktere beigetragen, die alle ihre einzelnen Facetten hatten und gut ausgearbeitet waren. Vor allem Luca, der mal so ganz anders ist, als ich anfangs vermutet hätte, war einfach zum Verlieben. Ich kann es nicht anders sagen: Ich wünsche allen jungen Mädchen da draußen einen Freund, der so auf sie Acht gibt und ihnen ihren Freiraum lässt, wie Luca es für Sage tut.
Besonders schön finde ich hier auch die fließenden Grenzen zwischen Freundschaft, Liebe und Familie. April, Sages neue Freundin am College, hilft ihr aus mancher Misere, ebenso Luca, der sowohl als Freund, als auch als Love Interest seine sensible Art Sage gegenüber beibehält. Es hätte so viele Szenen gegeben, die ganz anders hätten verlaufen können, in oftmals bekannten Klischees, aber die wurden meisterhaft umschifft. Ja, es gibt Klischees in „Berühre mich. Nicht.“, aber deren Umsetzung war immer noch gut eingebaut und hat somit gar nicht gestört. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich ein Buch lese, das ich mit veränderten Namen der Protagonisten schon zigmal in der Hand hatte. Es war etwas Neues, Besonderes, Rücksichtsvolles und gleichzeitig Schonungsloses.
Ich habe während des Schreibens dieser Rezension ewig hin und her überlegt, wie sehr für mich das Ende des Buchs ins Gewicht fällt. Nachdem so viele extreme Meinungen über den Cliffhanger kamen und ich wirklich gespannt darauf war, saß ich am Ende da und dachte: „Hm. Na gut. Habe ich kommen sehen. Und jetzt?“ So ein richtiger Schockmoment war nicht dabei, weder im positiven, noch im negativen Sinn. Ich finde eher, dass das Ende die Überleitung zum nächsten Band ist, aber die ganzen Szenen davor, Sages enorme Entwicklung und die Feinfühligkeit, mit der diese beschrieben wird, zählt für mich viel mehr. Man merkt, dass auch von Seiten der Autorin viel Fachkenntnis und Recherchearbeit reingeflossen sein muss, um so ein schwieriges Thema so sensibel aufarbeiten und darstellen zu können, ohne in Stereotypen zu verfallen.
Alles in allem hat mich „Berühre mich. Nicht.“ mitgerissen, begeistert, fasziniert und lässt mich nicht so ganz los. Es war ganz anders als erwartet, gleichzeitig habe ich mir schon lange gewünscht, dass endlich ein Buch kommt, das mich einfach durch den Umgang mit einem Tabuthema dermaßen begeistern kann. Ich freue mich wahnsinnig auf „Verliere mich. Nicht.“ und darauf, Sage auf ihrem Weg zu begleiten, der immer noch genug Stolpersteine bereithält.

© Lyx Verlag, Köln
Autor: Laura Kneidl
Titel: Berühre mich. Nicht.
Preis: 9,99€ (E-Book) | 12,90€ (TB)
ISBN: 978-3-7363-0527-4
Verlag: Lyx
Das Buch beim Verlag findet ihr hier: (X)
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