Kinder kriegen oder nicht – Desfred bleibt diese Wahl nicht. In einem totalitären Staat, der durch die „Augen“, seine Spione, jede Ungehorsamkeit mitbekommt, wird sie als Magd zur Gebärmaschine eines Kommandanten. In ihrem neuen Zuhause hat keine der Frauen, egal ob Ehefrau, Martha oder Magd, eine Wahl. Jegliche Rechte sind ihnen entsagt – so wie im gesamten Staat Gilead. Doch Desfred erzählt ihre Geschichte in der Hoffnung auf ein besseres Leben – ein freies Leben.
Was für ein Kracher! Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich mich doch an Klassiker herantraue. Obwohl das Buch nur etwas über 30 Jahre alt ist, versteht Margaret Atwood es, die Krisen, die unsere Gesellschaft auch heute noch spalten, sehr geschickt in „Der Report der Magd“ zu verpacken. Ich bereue es absolut nicht, dass ich mich der anfangs etwas holprigen, ungewohnten Sprache gestellt und diese Dystopie ausprobiert habe.
In „Der Report der Magd“ geht es um Desfred, die im Haus eines Kommandanten lebt, aber auch noch die alten Tage miterlebt hat, die Zeit, bevor das totalitäre System ohne Frauenrechte eingesetzt wurde. Desfred beschreibt hier rückblickend, wie sie ihre Zeit im Regime erlebt hat, aber auch, wie es zustande kam. Das System ist geprägt von religiösem Fanatismus, der sich darin äußert, dass das Leben über allem steht – weshalb es in Zeiten der zunehmenden Unfruchtbarkeit Mägde wie Desfred gibt, die nur als leeres Gefäß gesehen und dabei als Zuchtvieh behandelt werden.
Ich empfand die Geschichte teilweise als sehr lang, aber das nicht im negativen Sinn. Man erfährt langsam mehr über die Lebenswelt der Protagonistin, kann sich sehr gut auf sie einstimmen und erkennt immer makabere Anwandlungen dieses Regimes, das einen sehr mitnimmt. Ich war mehrfach vor Ekel wirklich angewidert und musste überlegen, ob das in unserer heutigen Zeit so leicht möglich wäre, ein ähnliches System einzuführen. Doch die Erklärung kommt mir plausibel vor und beinhaltet trotz des Alters des Buchs viele Aspekte, die auch heute in unserer Gesellschaft wieder auftauchen. Wenn man bedenkt, wie heftig auch heute noch Abtreibungen diskutiert werden, wie die Geburtenrate sinkt und auch die Umweltverschmutzung und der Klimawandel geleugnet werden, bis es mal so richtig knallt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn versuchte Lebensmittel oder gewisse Pestizide durchaus mal Fruchtbarkeiten einschränken könnten.
Was mich hier auch stark beeindruckt hat, war Desfreds Art zu erzählen. Man weiß nie, ob sie lügt oder die Wahrheit sagt – manchmal gibt sie offen zu, dass sie sich vieles schönredet, manchmal erscheinen Szenen mehrfach in verschiedenen Variationen, weil sie versucht, ihre Situation selbst zu akzeptieren. Ihr altes Leben hat sie verloren, ihre Freiheit und ihre Familie, doch sie sehnt sich nach der Hoffnung, dass sie immer noch leben könnten, will aber gleichzeitig auch aufs Schlimmste gewappnet sein. Ihre Gedankengänge waren nicht immer leicht zu ertragen, aber doch auch interessant, und ihre „Sünden“ rückten für mich in den Hintergrund, da man ihre menschlichen Triebe gut nachvollziehen konnte.
Alles in allem ist „Der Report der Magd“ so ein vielschichtiges, komplexes Buch und behandelt so wichtige Themen, dass ich nicht weiß, ob ich dem in einer Rezension überhaupt gerecht werden kann. Für mich war es auf jeden Fall eine Lektüre, die sich gelohnt hat, und ich denke, wer sich auch für ältere Dystopien interessiert, deren Szenarien gar nicht so weit entfernt von heutigen Diskussionen sind, sollte sich „Der Report der Magd“ nicht entgehen lassen.

© Piper Verlag, München
Autor: Margaret Atwood
Titel: Der Report der Magd
Preis: 11,99€ (E-Book) | 12,00€ (TB) | 25,00€ (HC)
ISBN: 978-3-492-31116-8
Verlag: Piper
Das Buch beim Verlag findet ihr hier: (X)
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