In einer Welt, die von Genen bestimmt wird, gehört Lou Typ A an – ihr Blut ist reiner, wertvoller als das der niederen Typ B-Menschen. Doch als ihr Vater vom Königshaus ermordert wird, schwört sie Rache. Als Typ B-Diener verkleidet schleicht sie sich in den Palast, wo sie Jared kennenlernt – den Sohn des Königs und damit auch ihren Feind. Doch Lou und Jared begeben sich in ein gefährliches Katz und Maus Spiel, an dessen Ende sie nur noch Ungewissheit erwartet …
Und da wären wir wieder bei: Bücher, die ich lieben wollte, die mich aber einfach nicht mitreißen konnten. Auf „Straßenkötergene“ von Julia Seuschek habe ich mich so lange gefreut, hatte ich schließlich schon vor der Veröffentlichung den Entstehungsprozess des Buchs immer wieder in den sozialen Medien verfolgt. Schon damals war offensichtlich, was für einen poetischen und unkonventionellen Schreibstil die Autorin hat. Doch leider verflog meine Begeisterung, je weiter ich las.
Fangen wir zunächst am Anfang an – und damit auch bei den positiven Eigenschaften des Titels. Straßenkötergene ist eine Dystopie und dreht sich um Lou, die in einem Zwei-Klassen-System großgeworden ist und in einer Welt, die von Kriegen und menschlicher Überheblichkeit entstellt ist. Dadurch kommt es zu den Mutationen – bis zu ihrer Pubertät weisen Kinder dieselben Merkmale auf, erst danach wird deutlich, welchem Gentyp sie angehören. So weit hat mir die Idee wirklich gut gefallen, auch wenn ich die Mutationen wissenschaftlich nicht ganz solide finde. Trotzdem war die Welt anfangs gut ausgearbeitet und hat interessanten Stoff bieten können, in den ich schnell reingefunden habe. Lou lebt zudem auf der Straße und versorgt sich, so weit sie kann, selbst.
Bis zu Lous Eintritt in den Palast war ich in der Geschichte drin und mochte die Protagonistin auch sehr – allerdings ist das komplette Worldbuilding danach einfach weggefallen. Denn sobald Lou sich verkleidet, ein Brauner wird und als Diener im Palast beginnt, kamen bei mir die Fragen auf. Und die erste ist: Wieso? Wieso glaubt sie daran, dass ihr leiblicher Vater vom Palast getötet wurde, wenn es ihr Bruder jahrelang nicht tat? Wieso muss sie ihn rächen? Wieso hat sie nicht andere Wege gefunden, der Brutalität ihres Stiefvaters zu entkommen (zumal sie zu dem Zeitpunkt schon mutiert war!), als auf der Straße zu leben? Und wieso verliebt sie sich in Jared?
Diese Liebesgeschichte nimmt danach wirklich den größten Teil des Buchs ein. Jared denkt, er sei schwul, Lou kann ihm nicht die Wahrheit sagen. Sie streiten sich, sie versöhnen sich, streiten sich wieder, werfen sich immer schrägere Spitznamen an den Kopf, Lou mutiert vom selbstbewussten, starken Mädchen mit dem Ziel, Geheimnisse des Königs zu finden und seine Macht zu stürzen, zu einem Mädchen, das … Ja, was eigentlich? Das allein dafür da ist, Jared schöne Augen zu machen? Das noch einmal im Palast schnüffeln geht, eigentlich nur durch himmelschreiendes Glück nicht entdeckt wird, und danach nie wieder auch nur an ihren Auftrag denkt. Die ganze Geschichte dreht sich nur noch um die Instalove zwischen den beiden. Und die kommt wirklich aus dem nichts.
Zudem gibt es einfach so unheimlich viele extreme Zufälle in dem Buch, dass es mich einfach nur genervt hat. Die treffen mit einigen Handlungssträngen zusammen, die angeschnitten, aber nie wieder oder nur sehr, sehr kurz thematisiert werden, weil sie sonst zu viel Platz von Lous und Jareds Seelenverwandtschafts-Liebesstory wegnehmen würden. Für die Kürze des Buchs war das einfach zu viel und gleichzeitig nicht genug. Das Ganze drumherum, die Rebellion, der sich Lous Bruder anschließt, ihre Mission, Jareds Hochzeit – alles wird auf wenigen Seiten abgehandelt. Keiner in diesem Buch scheint jemals ernsthaft etwas zu hinterfragen: Jared wird mit einem Hochverräter gefunden? Nein, interessiert keinen. Ein Adler, den Lou und ihr Bruder früher mal zufällig gefunden und gesund gepflegt und zur Brieftaube umfunktioniert haben, klopft ständig an ihr Fenster und überbringt ihr Nachrichten? Kümmert keinen im Palast!
Ich muss gestehen, ich war irgendwann einfach nur noch genervt. Zudem scheinen überdurchschnittlich viele Personen in diesem Buch pädophil und inzestuös zu sein. Und das wird ebenfalls auf wenigen Seiten abgehandelt und dient eher dazu, Lou und Jared zu verbinden, als wirklich mal darauf einzugehen, dass das ein Problem ist, mit dem sie kämpfen müssen!
Julia Seuscheks Schreibstil ist hingegen sehr angenehm. Aber: Zu einer Dystopie passt er für mich einfach nicht. Die Dialoge wurden für mich im Laufe des Buchs dermaßen unauthentisch, auch wenn sie schön geschrieben sind. Doch so redet keiner! Irgendwann klang es eher schwülstig und nicht mehr besonders. Ich hätte mich eher gefreut, wenn diese poetischen Zeilen ab und zu eingestreut gewesen wären, anstatt dass Jared einem anderen Mädchen vor den Latz knallt, dass er auf kartoffeliges Chaos steht. Ja, das mag ihm in dem Moment romantisch gegenüber Lou vorkommen. Aber für mich erschien es einfach sehr unauthentisch und seltsam, wie die zwei miteinander und auch mit anderen reden.
Wie ich bereits erwähnte, war für mich zu viel Handlung mit zu viel offenen Strängen in zu wenige Seiten und Kontext gepresst. Das Ende war abrupt, sollte überraschen, aber ich habe ähnliches schon erwartet, und es wurden längst nicht alle Fragen aufgeklärt. Für mich war es irgendwie unbefriedigend, da noch so viel offen war. Die Thematik des Buchs hätte locker Stoff für 500 Seiten geboten, aber hier musste einfach für die Liebesgeschichte zurückgesteckt werden – was für mich das Buch unvollständig und sehr, sehr klischeevoll gemacht hat.
So sehr ich es mir auch gewünscht habe, „Straßenkötergene“ konnte mich nicht überzeugen. Ich mag Julia Seuscheks Schreibstil und die Grundidee war auch echt cool, aber die gesamte Umsetzung hat für mich die Geschichte kaputtgemacht. Wer auf Liebesgeschichten mit kleinen dystopischen Aspekten steht: Hier. Wer stimmige Dystopien erwartet, in denen sich nicht alles um Seelenverwandtschaft auf den ersten Blick dreht: Nein. Da ich leider zur zweiten Gruppe gehöre, hat mich „Straßenkötergene“ nicht vom Hocker reißen können.

© Drachenmond, Leverkusen
Autor: Julia Seuschek
Titel: Straßenkötergene
Preis: 3,99€ (E-Book) | 12,90€ (TB)
ISBN: 978-3-95991-277-8
Verlag: Drachenmond Verlag
Das Buch beim Verlag findet ihr hier: (X)
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