Feminismus, Gleichberechtigung, Girl Power – in der letzten Zeit gibt es immer mehr Bücher zu Themen, die vor allem jungen Mädchen zeigen sollen, welche Barrieren sie in unserer Gesellschaft niederreißen können. Barrieren, die oftmals auf dem Geschlecht beruhen, das sie verbindet. Eines dieser Bücher ist “How to be a girl” von Julia Korbik: Ein Buch, das mich zum Nachdenken angeregt hat, was es für mich heißt, ein Mädchen zu sein.
Mädchen zu sein heißt für mich, sehr lange mit meinem Äußeren gehadert zu haben. In der Schule gab es immer die hübschen Mädchen, die selbstbewussten Mädchen, zu denen ich aufgesehen und sie doch auch ein Stück weit gehasst habe. Weil sie hübsch geboren waren, wenn man nach den Erwartungen unserer Gesellschaft geht. Weil sie reinere Haut, längere Haare, zierlicher gebaut waren. Wegen ihrer Stupsnasen. Weil ich nie so ganz dazugehören konnte, so sehr ich mich auch angestrengt habe, mitzuhalten. Anstatt sich gegenseitig aufzubauen, war der Schulhof ein Ort der Lästerns. Jeder über jeden. Das war anerkannt, es war die Norm. Wer “in” sein wollte, hatte entweder das Aussehen oder das Selbstbewusstsein – oder das Pech, wie ich mit beidem gehadert zu haben. Ich habe mich nie als schön wahrgenommen, nie als begehrenswert. Und ich weiß, dass es da draußen zig andere kleine Mädchen gibt, die tagtäglich ebenso mit sich kämpfen, wie ich es tat – und heute noch tue.
Mädchen zu sein heißt für mich, füreinander einzustehen. Und doch waren wir irgendwie verbunden, auf unsere ganz eigene Art. In der Oberstufe hatte ich eine gute Gruppe an Freundinnen. Eines Tages tauchte von einer ein Bild auf, das ihren Hintern zeigte – man hatte ihr unter den Rock gefilmt. Es hieß, sie hätte sich nicht so freizügig kleiden sollen, dann wäre das nicht passiert. Victim-Blaming, ein Wort, das ich damals noch nicht kannte. Aber seitdem kenne ich die Wut über eine Ungerechtigkeit, in der das Opfer dafür verantwortlich gemacht wird, dass sich der Täter nicht beherrschen konnte. Dass ihm Moral und das Empfinden fehlte, dass er etwas Falsches machte. Am folgenden Tag saß ich zum ersten Mal in knapper Hose und einem Crop Top in der Schule. Ich habe vorher und auch danach nie bauchfrei getragen. Aber an dem Tag war es mein stummer Protest, ich wollte zeigen, dass ich das nicht zulasse. Egal, um wen es geht – wenn niemand anderes für uns einsteht, müssen wir uns gegenseitig helfen.
Mädchen zu sein heißt für mich, nachts auf offener Straße Angst zu haben. Egal ob jemand da ist oder nicht, ob ich in Begleitung bin oder nicht – bin ich nach Anbruch der Dunkelheit noch draußen, kommt die Angst. Es ist nichts, woran ich mich explizit erinnere, es gelernt zu haben, aber ich kenne die Verhaltensregeln, die für unser Geschlecht allgemeingültig sind. Auf Partys darfst du dein Getränk niemals unbeobachtet lassen. Hab immer genug Geld für ein Taxi dabei, am besten solltest du aber auch da nicht deine genaue Adresse angeben, wenn du allein fährst. Bist du doch mal allein auf der Straße, trag deinen Schlüsselbund, Pfefferspray oder ein Taschenmesser am besten in der Hand. Ich kann mir einen High Heel schnell genug ausziehen, um jemanden damit zu verprügeln, und habe in zwei Kursen gelernt, mich selbst zu verteidigen. Und trotzdem habe ich Angst, nachts rauszugehen – Angst davor, dass mir etwas geschieht, Angst, mich in einer Situation wiederzufinden, in der ich zu schwach bin. Ich schäme mich für das eine Mal, als ich so betrunken war, dass ich kaum noch geradeaus laufen konnte. Nicht etwa wegen der blöden Dinge, die ich da gesagt haben könnte, oder weil es uncool ist, sich zu betrinken. Sondern weil mir so leicht etwas hätte passieren können – weil ich dumm genug war, mich in einen Status zu versetzen, in dem ich mich nicht selbst verteidigen konnte.
Mädchen zu sein heißt für mich, mich nicht in meiner Sexualität beschränken zu lassen. Hätte ich mit 13 Jahren nicht Tumblr entdeckt, wäre ich mir wahrscheinlich nicht so früh im Klaren darüber gewesen, dass ich mich ausprobieren darf. Dass es mehr gibt als Mann und Frau, dass ich lieben darf, wen ich will. Und dass dieses Ausprobieren nicht von jedem gut aufgenommen werden wird. Ich habe das unglaubliche Glück, dass meine Familie und mein Freundeskreis gut darauf reagiert haben, dass ich eine feste Freundin habe. Ich weiß aber auch, dass das nicht selbstverständlich ist, dass unsere Rolle als Mädchen traditionell im Kreis einer Familie angesehen wird, in der ich mit einem Mann zusammen sein sollte. Obwohl ich wusste, dass mich meine Mutter liebt, habe ich vor Angst geweint, als ich ihr meine Beziehung gestanden habe. Und ich kann mich noch glücklich schätzen, dasss ich in einem Land leben darf, in dem auf meine Sexualität nicht die Todesstrafe steht.
Mädchen zu sein heißt für mich, einmal im Monat zu leiden. Die Menstruation gilt immer noch als Tabuthema. Als etwas Privates, etwas Ekliges, das man verstecken muss. Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich an der Hochschule in der Mensa einfach mal locker über den Gebrauch von Menstruationstassen reden kann, wenn Mädchen sich gegenseitig bestärken und Tipps geben, wie man die schlimmste Zeit des Monats am besten übersteht. Dabei bluten nicht nur Mädchen. Für mich sind diese Tage auch heute noch ein absoluter Horror, der sich jeden Monat wiederholt. Unterleibsschmerzen sind das, was ich gewohnt bin, hinzu kommen Rückenkrämpfe und Kopfschmerzen, oftmals auch Schwindelanfälle, seltener Migräne, Ohnmachtsanfälle oder dass ich mich übergeben muss. Inzwischen ist es relativ erträglich – etwa 6 von 12 Mal im Jahr habe ich Glück und es beschränkt sich auf Unterleibsschmerzen. Aber Mädchen zu sein bedeutet für mich auch, dass ich im Alltag dadurch eingeschränkt werde, wenn es beispielsweise auf langen Zugstrecken keine funktionierenden Toiletten gibt und ich regelrechte Panik schieben muss. Es bedeutet auch, ein Heidengeld für Hygieneartikel dazulassen, mit Plastikmüll umgehen zu müssen und sich ausführliche Informationen über “neuere” Mittelchen wie die Menstruationstasse mühsam erarbeiten zu müssen – weil es schlichtweg zu wenig Aufklärung darüber gibt, ebenso wie über Krankheiten, die damit zusammenhängen. Und dass ich in dieser Zeit als hysterische, übellaunige Zicke abgestempelt werde, weil es sich anfühlt, als würde mein Unterleib zerfleischt werden, wirkt auch nicht gerade positiv auf die angeschlagene Psyche.
Mädchen zu sein heißt für mich, aus vorgefertigten Rollen ausbrechen zu dürfen – oder sie anzunehmen, weil ich sein darf, wer ich sein will. Ich mag Pink. Ich liebe Ballett. Sprachen liegen mir besser als Mathe. Das macht mich nicht zu mehr Mädchen als andere, ebenso wie es mich irgendwie herabwürdigt, trotzdem auf andere Farben zu lieben, Kampfsportarten gut zu finden, und keine Kinder zu wollen. Ich muss mich nicht in Rollen drängen lassen, weil sie sowieso der komplette Schwachsinn sind. Mädchen, Frau, feminin zu sein, das alles sind Labels, die uns zugeschrieben werden, ob bei der Geburt oder im späteren Leben. Aber wir können entscheiden, wer wir sind, wie wir uns einander gegenüber verhalten. Wir können füreinander und für unsere Rechte einstehen. Wir können tun und lassen, was wir wollen – über alle Grenzen eines Geschlechts hinweg, das uns niemals einengen sollte.
Genau das ist es auch, was ich aus “How to be a girl” mitgenommen habe – viel Selbstliebe, der Mut und Wille, für sich selbst und andere einzustehen. Neben zahlreichen Porträsts von Frauen der Geschichte geht es in dem Buch unter anderem um Kapitel mit den Themen Emanzipation, Politik, Ungerechtigkeiten, Geschichte und dem Selbstverständnis. Verschiedene Sexualitäten gibt es genauso wie fiktionale Vorbilder, was das Buch für mich zu einem interessanten Leseerlebnis gemacht hat, aus dem Mädchen viel Liebe für sich selbst und ihr Geschlecht schöpfen können. Gemeinsam sind wir stark, so lautet hier das Motto!

© Gabriel, Stuttgart
Autor: Julia Korbik
Titel: How to be a girl
Preis: 14,99€ (TB) | 9,99€ (E-Book)
ISBN: 978-3-522-30509-9
Verlag: Gabriel (Thienemann-Esslinger Verlag)
Das Buch beim Verlag findet ihr hier: (X)
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