In einem kleinen Dorf lebte vor langer Zeit die taube Maggie. Von den Dorfbewohner verspottet und beschimpft, ausgegrenzt und nur widerwillig geduldet, flüchtet sie sich in ihre Fantasie. Dort ist alles möglich: Jeder bekommt, was er verdient. Und Maggie verdient ihre große Liebe. Doch als der mysteriöse Piper, ein Flötenspieler, nach Hameln kommt, wird Maggies liebliche Traumromanze dunkler und bedrohlicher, als sie es sich je hätte ausmalen können …
Hameln hat ein Rattenproblem – das kennen viele von uns sicherlich noch aus dem Märchen. Dass Hameln aber auch ein Problem mit Neid, Arroganz, Ausgrenzung und Korruptheit hat, zeigt die Graphic Novel “Piper” von Jay Asher und Jessica Freeman. Basierend auf dem Märchen des “Rattenfängers von Hameln”, aber noch um einiges düsterer, wird hier das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, die sich nur zu gern aushelfen lässt, solange sie profitiert, Andersartige aber dann hochkant rauswirft und ihre gerechte Strafe erfährt. Eine zu starke Liebesgeschichte darf man nicht erwarten, die spielt sich eher leise im Hintergrund ab, auch wenn sie definitiv ihre schönen Momente hat.
Maggie und der Piper haben mir als Charaktere sehr gut gefallen. Maggie ist eine kleine Träumerin, steckt mit dem Kopf in den Wolken und ist trotz ihrer Behinderung und der Ausgrenzung durch die Dorfbewohner sehr lebensfroh und optimistisch. Ich mochte vor allem die kleinen Geschichten, die sie sich ausgedacht hat, auch wenn sie sehr düster sind. Sie zeugen von Maggies starkem Gerechtigkeitssinn, der sie antreibt. Außerdem fand ich es es interessant, mal eine taube Protagonistin zu haben, die nur von den Lippen lesen kann, was manchmal zu unangenehmen und, vor allem in Bezug auf den Piper, peinlichen Situationen führen kann.
Der Piper hingegen ist eine sehr zwiespältige Figur. Wir erfahren sehr wenig über ihn, aber genug, um uns ein Bild machen zu können, weshalb er zu dem Mann wurde, als der er sich schließlich entpuppt hat. Seine Fähigkeiten sind sehr interessant und haben mich immer wieder in ihren Bann gezogen. Außerdem mochte ich sein Zusammenspiel mit Maggie sehr – schließlich kontrolliert er Ratten und Menschen mithilfe seiner Melodien, was bei Maggie nicht funktioniert. Hieraus hat sich ein toller Zwiespalt ergeben.
Eine lebensfrohe Graphic Novel sollte man dennoch nicht erwarten. Es geht insgesamt sehr düster zu, was auch die Grundthematik des Märchens aufgreift. Außerdem dreht sich vieles um Gerechtigkeit, um Karma und um Selbstjustiz. Der Piper als Figur ist unheimlich, obwohl man ihn dennoch gut nachvollziehen kann, weil seine Beweggründe deutlich gemacht werden. Der Wunsch nach Rache streitet hier immer wieder mit Vergeltung und dem Gerechtigkeitssinn, was auch mich als Leser mitgerissen hat. Schließlich habe ich unheimlich mitgefiebert und den Schluss inhaliert – das ganze Finale war so spannungsgeladen, wie ich es in einer Graphic Novel selten erlebt habe.
Auch die Illustrationen von Jeff Stokely haben dazu beigetragen, das Feeling richtig rüberzubringen. Maggies ganze Art ist unheimlich weich und sehr lieblich, ihre Tagträume ebenso, während das Geschehen rund um den Piper einen krassen Gegensatz bietet. Gerade diese zwei Seiten, die aufeinandertreffen, hat Jeff Stokely gut eingefangen und visualisiert.
Alles in allem war “Piper” für mich eine überraschende und sehr interessante Graphic Novel, die ich für alle Leser empfehlen kann, die auf Düsteres stehen. An manchen Stellen geht es schon sehr brutal zu, aber das hat es für mich so einprägsam und den Piper so faszinierend gemacht. Definitiv ein schönes Werk von Jay Asher, Jessica Freeburg und Jeff Stokely!

© Penguin Random House
Autor: Jay Asher & Jessica Freeburg
Illustrator: Jeff Stokely
Titel: Piper
Preis: 11,99€ (TB)
ISBN: 9780448493664
Verlag: Penguin Random House
Das Buch beim Verlag findet ihr hier: (X)
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