Raus aus ihrem alten Leben, in dem sie durch eine schreckliche Tat viel zu bekannt geworden ist, rein in die kanadische Wildnis: Inmitten von Bären und Wölfen will Jana Abstand bekommen. Abstand zu ihrer Familie, die sie nicht versteht, Abstand zu den Menschen, die ihr sagen, sie soll einfach weitermachen. Doch als ihr Onkel, ein Forscher, nach einem Ausflug nicht mehr zur Hütte im Niemandsland zurückkommt, beginnt Jana sich Sorgen zu machen. Mit Luke an ihrer Seite, einem abenteuerlustigen Youtuber, der seine Ausflüge filmt, will sie Hilfe holen, um ihren Onkel zu finden. Doch die Natur ist unbarmherzig und auch zwischen Jana und Luke ist nicht alles eitel Sonnenschein …
Nachdem mir von allen Seiten erzählt wurde, wie toll Julie Leuzes Bücher sind, und ich “Das Glück an meinen Fingerspitzen” auch als Überraschungspost zugesendet bekommen habe, habe ich es doch auf meine Leseliste gesetzt und dem Buch eine Chance gegeben. Eigentlich hat mich der Klappentext ein wenig abgeschreckt, weil ich nicht unbedingt auf solche Geschichten stehe, die einen Großteil der Zeit in der freien Natur spielen – man merkt, ich bin Stadtkind und Stubenhocker. Aber Kanada war tatsächlich mal ein interessanter Handlungsort, was mich dann doch etwas neugierig gemacht hat, und so habe ich “Das Glück an meinen Fingerspitzen” innerhalb eines Tages komplett durchgelesen.
Ich musste diese Lektüre tatsächlich erst mal sacken lassen. Denn inzwischen sage ich: Hätte ich mal auf mein Gefühl vertraut und es nicht gelesen. Es war nichts für mich, allerdings nicht aus den Gründen, vor denen ich mich gefürchtet habe. Ja, die freie Natur, die schönen Landschaftsbeschreibungen und die Atmosphäre Kanadas waren tatsächlich das Einzige, was dieses Buch für mich noch irgendwie gerettet hat. “Das Glück an meinen Fingerspitzen” konnte mit der Wildnis tatsächlich punkten, und auch wenn so ein Urlaub nichts für mich wäre, hat die raue Landschaft überzeugen können.
Dafür hatte ich wirklich Probleme mit dem Plot und den Charakteren. Da ich das aber nicht erklären kann, ohne zu spoilern, bitte ich jetzt alle, die das Buch noch lesen möchten und keine Spoiler lesen wollen, diese Rezension zu schließen. Nach dem Bild geht es mit Spoilern weiter! Warum mir das Buch nicht gefallen hat, hatte nämlich moralische Gründe, die im Handeln der Protagonisten und im Aufbau der Liebesbeziehung liegen, zudem in der Struktur des Plots und der Hintergrundgeschichten, die zum Handeln der Protas führten.
Hier startet nun der Teil mit den Spoilern. Fangen wir an bei der Protagonistin Jana: Sie wird als überirdisch schön beschrieben, hadert aber mit ihrem Aussehen, weil es sie in der Vergangenheit in eine unangenehme Situation gebracht hat. Jana kam mir dabei vor wie das typische Mädchen von nebenan – sehr hübsch, sehr klug, eher zurückgezogen, will nicht im Vordergrund stehen. So weit war das auch in Ordnung, aber bei ihr hat mir eindeutig die Tiefe gefehlt. Ihr großes Geheimnis kam mir zu weit hergeholt vor, es war für mich einfach nicht realistisch. Das mag jeder anders sehen, das finde ich auch vollkommen in Ordnung. Aber ich habe dieser Protagonistin diese Hintergrundgeschichte nicht abgenommen. Ihre Panikattacken, die daraus resultieren, kamen mir eher vor wie ein nützliches Plot Device, das dazu führte, sie in die physische Nähe des Love-Interests Luke zu treiben. Und auch ansonsten kam mir Janas Persönlichkeit sehr dünn vor. Eine Hintergrundgeschichte macht noch lange keinen tiefen Charakter aus, und abgesehen davon, dass Jana schön ist, ist mir von ihr einfach nichts im Gedächtnis geblieben.
Luke hingegen ist Adrenalin-Junkie – und ich war während des gesamten Buches stinksauer auf ihn. Was hat mich dieser Charakter wütend gemacht! Hier komme ich zu meinem größten moralischen Problem mit dem Buch.
Luke hat eine Freundin, Emily. Emily hat aber einen anderen Jungen geküsst – was Luke ihr vergeben hat, immerhin war sie lange Zeit für ihn da und hat ihm aus der Scheiße geholfen, als es ihm richtig dreckig ging.
Mein 1. Problem: Luke war ein “Bad Boy auf Zeit”, weil es in seiner Familie so furchtbar lief, seit seine kleine Schwester an MS erkrankte, hat er allen möglichen Mist gebaut, und weil Emily ihn da rausgeholt hat (und nebenbei für ihn das Gesetz brach) ist alles Friede, Freude, Eierkuchen und er von seinem Bad Boy-Gehabe geheilt.
Nein. Ich kann gar nicht beschreiben, auf wie vielen Ebenen ich dies falsch finde. Was ist das denn für ein Eindruck, den man als Mädchen und junge Frau davon bekommen soll? Bist du nur lieb genug zu dem Typen und tust alles für ihn, ändert er sich schon? Not so Fun Fact: Die Bad Boys im wahren Leben ändern sich nicht. Eine Beziehung kann toxisches Verhalten nicht heilen. Und ich möchte so was nicht in Büchern lesen, die an Mädchen einer sehr beeinflussbaren Altersgruppe gerichtet sind. Bitte nehmt euch solche Beziehungen nicht zum Vorbild!
Mein 2. Problem: Luke hat Emily das Fremdgehen (den Kuss) verziehen. Das ist okay für ihn, das betont er immer wieder. Natürlich brodelt es trotzdem unter der Oberfläche, aber Emily gegenüber hat er diesen Kuss verziehen. Als dann jedoch Jana auftaucht, muss er immer öfter darüber nachdenken – und tut genau das, was er bei Emily eigentlich nicht okay fand. Bevor er mit seiner Freundin Schluss macht, küsst er ein anderes Mädchen, verbringt die Nacht an ihrer Seite und hintergeht damit seine Freundin – etwas, das er ihr ebenfalls oft genug vorgeworfen hat. Ein Fremdgehen, vor allem, wenn man es als Partner verziehen hat, rechtfertigt kein anderes. Und das Schärfste fand ich immer noch Janas Kommentar dazu, als sie von Lukes Freundin erfährt, nachdem sie miteinander rumgemacht haben: Ihr könnt ja noch Freunde bleiben, ich würde sie gern kennenlernen. Muss ja einen Grund haben, dass ihr so lange miteinander zusammen wart!
Liebste Jana, wäre ich an Emilys Stelle, hätte ich nicht die Neue des Typen kennenlernen wollen, der mich hintergangen hat. Und sei sie auch noch so eine Göttin zum Niederknien, wie Luke schon bei der ersten Begegnung mit Jana feststellt.
Mein 3. Problem: Das Slutshaming. Auch wenn es nicht ganz offen angesprochen wird, merkt man durch Lukes Verhalten, dass er Emilys Fremdgehen eben nicht okay fand und es ihr immer weiter vorwirft und als Ausrede benutzt, um ebenfalls fremdzugehen. Als dann jedoch am Ende des Buchs rauskommt, dass es sein bester Freund war, der Emily geküsst hat – hey, Kumpel, kein Problem, wir sind doch Bros! Das ist jetzt etwas übertrieben ausgedrückt, aber so kam es für mich rüber. Dass sein bester Freund, im Wissen, dass Emily und Luke eine Beziehung führen, Emily geküsst hat, ist schnell verziehen. Aber der bösen Ex muss man das ewig nachtragen!
Das waren eigentlich die ausschlaggebenden Punkte, die mich echt an dem Buch haben knabbern lassen. Ich habe nichts gegen schöne Liebesgeschichten, aber diese fand ich in moralischer Hinsicht (die für jeden anders ausfallen mag – für mich fiel sie nun mal so aus) einfach nicht in Ordnung. Abgesehen davon war ich auch kein Fan der eingeschobenen Kapitel aus der Sicht der Insel, auf der Jana und Luke sich befinden. Das kam mir doch ziemlich schräg vor und hat mir das Lesen erschwert. Von weiteren mehr oder eher minder logischen Anwandlungen Janas möchte ich nur kurz berichten.
Einerseits hat mich die ganze Sache mit dem Funkhandy gestört. Da sie weit abgeschieden leben, wo es keinen Handyempfang gibt, nehmen Jana und ihr Onkel ein Funkhandy mit zur Insel. Das andere liegt bei Janas Tante, die noch irgendetwas fertig schreiben muss und dann zur Insel nachreisen will. Bei seiner Erkundungstour auf der Insel nimmt Onkelchen das Handy mit und gerät natürlich in Not, Handy ist weg, Jana auf sich allein gestellt, Onkel kommt nicht heim. Alles schön und gut – aber hätte es nicht mehr Sinn gemacht, wenn Jana das Handy gehabt hätte, und wenn Onkel am nächsten Morgen noch nicht da ist, Hilfe hätte rufen können?
Als Jana dann mit Luke beschließt, quer über die Insel zu laufen und Hilfe zu holen, denkt sie selbst an Teller und Besteck, damit man das Essen aus der Dose wie feine Menschen essen kann. Aber Klopapier, oder zumindest Taschentücher? Ach was, braucht kein Mensch! Bis sie sich dann mit Moos behelfen muss und die ganze Angelegenheit echt unhygienisch und eklig wird. Nun kann ich ja verstehen, dass Jana wie ich kein Outdoor-Mensch ist und vielleicht nicht dran denkt, aber gerade Luke, der ständig für die Kamera in der Wildnis rumgurkt, hätte doch an so etwas denken sollen! Diese Stelle hat mich wirklich so aus dem Lesefluss gerissen, dass ich ein langes Gespräch mit meiner Mitbewohnerin führen musste, die jahrelang bei den Pfadfindern war. Auch sie meinte: Toilettenpapier ist immer dabei und Moos oder Blätter ein No-Go.
Mein Fazit ist also: Nichts für mich. Kanada war tatsächlich der einzig interessante Aspekt für mich am Buch, und ich fand die Aufmachung recht schön, aber die Story an sich war für mich nichts und leider an vielen Stellen eher wie ein Unfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Ich möchte hier noch mal betonen, dass jeder ein anderes Empfinden hat, auch was die moralischen Aspekte angeht, die ich aufgeführt habe, aber beim Lesen hat mich das dermaßen gestört, dass ich einfach nicht darüber hinwegsehen kann. Deshalb würde ich das Buch letztendlich nicht weiterempfehlen.

© Ravensburger, Ravensburg
Autor: Julie Leuze
Titel: Das Glück an meinen Fingerspitzen
Preis: 14,99€ (HC) | 12,99€ (E-Book)
ISBN: 978-3-473-40166-6
Verlag: Ravensburger Buchverlag
Das Buch beim Verlag findet ihr hier: (X)
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