Es ist ein einfacher Satz, über den sich in den letzten Tagen lustig gemacht wurde. Auf Memes, Zitatebildern, in Posts: Twitter, Facebook, Instagram haben mich immer wieder wütend gemacht, wenn ich sehen musste, wie manche Blogger eine Frau dafür zerreißen, dass sie sagt: “Ich besitze 30 Bücher.”
Ja, richtig. Marie Kondo, die über ihre KonMari-Methode des Aufräumens schon Bücher verfasst hat und nun auf Netflix überforderten Menschen einen Weg aus dem Chaos zeigt, ist nicht der Moralapostel, als den sie viele nun verteufeln. Wer sich nur mal ein Stück weit mit ihrer Methode beschäftigt hat und nicht nur darauf was gibt, was andere ihm erzählen, findet das auch schnell raus. Trotzdem stellt sich mir die Frage: Wieso verteufelt die Buchgemeinde eine Frau, deren Bücherschrank kleiner ist als der eigene?
Die KonMari-Methode und die Reaktionen
In ihrem Buch schreibt Marie Kondo, dass sie selbst nach dem jahrelangen Aufräumen mit ihrer Methode nur noch 30 Bücher besitzt. Hierbei finde ich den Fakt am interessantesten, dass sie auch eingesteht, dass sie bei Büchern anfangs Probleme hatte, die Anzahl so weit zu reduzieren. Marie Kondo hat ihre Methode auch nicht von Anfang an so beherrscht. Und wenn es schon die Aufräumexpertin Jahre kostet, ihren Buchbestand zu verringern, wie kommt man dann als Blogger auf die Idee, ihre persönliche Richtzahl für ihr eigenes Leben als pauschales Kriterium zu sehen und sie damit durch den Dreck zu ziehen?
Was mich am meisten an der ganzen Misere aufregt, ist die Art und Weise, wie dieser Shitstorm abläuft. Ohne sich zu informieren, was es mit der KonMari-Methode auf sich hat, regen sich die Leute drüber auf, dass eine Frau ihnen erzählen will, wie sie ihr Leben zu gestalten haben. Dabei stimmt das überhaupt nicht. Denn Marie Kondos Ratschläge kann jeder abwandeln, und so sind sie auch gestaltet. Im Mittelpunkt der Methode stehen Werte wie Dankbarkeit, Übersichtlichkeit und Wertschätzung.
Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, wie die Methode im Einzelnen funktioniert. Fakt ist, dass Marie Kondo sie auch auf Bücher bezieht. Ich habe mir ihre Sendung angesehen, wobei mein Entrümpelungskampf schon letztes Frühjahr gestartet hat – zunächst mit Social Media, dann allmählich auch mit Sachen, die ich in der Wohnung hatte. Auch mit Büchern, denn Platz ist nun einmal begrenzt, und es kommen immer wieder neue Bücher hinzu, die ich besitzen will. Es ist ein langwieriger Prozess, deshalb hat mich Marie Kondos Methode sehr fasziniert.
Als ich mir ihre Show angesehen habe, war ich zunächst etwas verwundert, wie wenig Anleitung sie eigentlich gibt. Aber gerade das lässt so viel Freiraum, für sich selbst Methoden zu finden, mit denen man arbeiten kann. Marie Kondo entrümpelt nicht selbst für die Familien, sie gibt eine Anleitung: Behalte das, was dir Freude bereitet. Dieser “spark of joy”, der “Funke der Freude”, ist essenziell für die KonMari-Methode. Außerdem geht es darum, dass man den Großteil der Sachen sieht, die man besitzt – deshalb wird Kleidung so gefaltet, dass sie andere Stücke nicht verdeckt, Kleinkram übersichtlich in Boxen geordnet und auch Erinnerungen werden präsenter gemacht. Der dritte große Baustein, die Dankbarkeit, wird schon in Marie Kondos Anfangszeremonie sichtbar, wenn sie eine Familie kennenlernt. Sie begrüßt nicht nur die Menschen, sondern auch das Haus – sie kniet sich hin und führt einen inneren Monolog mit der Umgebung. Anfangs erschien mir das seltsam, aber je länger ich darüber nachdenke, desto besser finde ich es. Wir, die wir selbst ziemlich privilegiert leben im Vergleich zu einem großen Teil der Weltbevölkerung – sollten wir nicht dankbar dafür sein, was wir haben? Einen Raum zum Leben, ein Zuhause, das uns empfängt. Materielle Dinge, die man manchmal jahrelang nicht sieht, weil sie versteckt hinter Unrat sind. Marie Kondos Methode ist einfach und gleichzeitig so hart umzusetzen: Wenn es dir Freude bereitet, behalt es und halt es in Ehren. Wenn nicht, kann es gehen.
Sind wir jetzt alle Fanatiker, weil wir aufräumen?
Mich hat es unfassbar wütend gemacht, was ich gelesen habe. Marie Kondo wird verunglimpft, verspottet. Ein Satz, den sie so niemals von sich gegeben hat, wird von Bloggern zerrissen, die ich eigentlich gern habe. Wer mit ihrer Methode aufräumt, ja, wer jetzt generell aufräumt und aussortiert, darf sich über blöde Sprüche wundern. “Machst du jetzt etwa auch bei dieser Hipster-Scheiße mit?” Selbst wenn ich erst durch Marie Kondos Methode angefangen hätte, aufzuräumen: Was geht das andere an und wieso ist das so schlimm? Was ist so schrecklich daran, Bücher wegzugeben, die ich sowieso nicht mehr lesen werde und die keinen emotionalen Wert für mich haben? Was ist so schlimm daran, jedes Teil umso mehr wertzuschätzen, das ich besitze – und sei es nur meine Lieblingssocke, die im Winter so kuschlig weich ist?
Die Leute, die sich über die 30 Bücher aufregen, haben sich nicht mit der Materie befasst und geben das wieder, was sie irgendwo aufgeschnappt haben. Dabei ist es nicht schlimm, nur 30 Bücher zu besitzen. Manche Menschen haben nicht so viel Platz, andere nicht so viel Geld. Deshalb gibt es auch Bibliotheken, die uns das Leben erleichtern. Ich kann von einem sehr privilegierten Punkt heraus sprechen, weil ich viele Bücher geschenkt bekomme und auch den Platz dafür in der Wohnung habe, trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, mein SuB frisst mich irgendwann auf. Und das ist das Problem für mich an der ganzen Sache: Ich fühle mich überfordert mit all dem Zeug, das ich besitze. Es ist an manchen Stellen eine Last für mich, zu wissen, dass noch 100 ungelesene Bücher in meinen Regalen auf mich warten – manche so alt und außerhalb meines jetzigen Buchgeschmacks, dass ich sie sowieso nicht mehr lesen will. Deshalb gebe ich sie weg, weil sie mich unruhig werden lassen, weil sie mir kein gutes Gefühl bereiten.
Natürlich habe ich mehr als 30 Bücher. Ich werde immer mehr als 30 Bücher haben – ich mag das Gefühl, in einen Raum voller Bücher zu kommen. Aber ich glaube, Marie Kondo wäre die Letzte, die mich dafür verurteilt, wenn ich mich tatsächlich an allen Büchern erfreue. Wenn ich sie mit einem Lächeln betrachte und nicht mit der nagenden Angst, dass ich sie sowieso nie lesen werde. Und wenn sich jemand für 10, 30, 50 oder gar 200 Bücher entscheidet: Lasst die Leute doch einfach leben, wie sie wollen. Aber diese Hexenjagd auf Marie Kondo ist das Unnötigste, was die Buchgemeinde in letzter Zeit fabriziert hat.
[…] über Marie Kondo und die 30-Bücher-Aussage lustig gemacht. Klaudia von Herzdeinbuch nimmt Kondo in ihrer Kolumne aber in Schutz. Und meinetwegen soll die Aufräumkünstlerin auch so wenige Bücher haben, wie sie will. Nur […]